Wasserkraft: Im Schatten von Sonne und Wind?

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Image 1: Hydropower plants such as the Rudolf-Fettweis plant in the northern part of the Black Forest offer enormous development potential. Image: TractebelBild 1: In Wasserkraftanlagen wie dem Rudolf-Fettweis-Werk im nördlichen Schwarzwald steckt enormes Ausbaupotential. Bild: Tractebel

Bei dem Begriff „erneuerbare Energie“ denken die meisten zunächst an Wind und Sonne. Man vergisst dabei fast, dass Biomasse, Biogas, Geothermie und auch die Wasserkraft dazu zählen. Zu Unrecht, finde ich. Wasserkraft ist einer der ältesten Energielieferanten der Erde. Und sie kann uns heute helfen, die Versorgung aus Erneuerbaren für die Zukunft zu sichern. Dabei muss nicht immer gleich neu gebaut werden. Mit Investitionen in bestehende Anlagen lässt sich sehr viel erreichen!

Bei der Umwandlung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen haben Windenergie- und Solaranlagen den größten Anteil. Die Wasserkraft liegt bei nur 8,6 % (Quelle: energy-charts.info) und wurde über Jahre auch nicht weiter ausgebaut. Ein Grund: Studien aus vergangenen Jahrzehnten kamen zu dem Ergebnis, dass das Wasserkraftpotenzial in Deutschland weitestgehend ausgeschöpft sei. Häufig wird die Technologie auf ihre negativen Auswirkungen reduziert. Die Investitionen werden auf das Nötigste reduziert.

Bild 2: Die ursprünglich zur Erzeugung des Eigenbedarfs bei Stromausfall vorgesehene Hausturbine in Bärenburg (Kraftwerke Hinterrhein AG) läuft nach der Rehabilitierung nun im Dauerbetrieb – denn die Schweiz fördert Kleinwasserkraftanlagen. Bild: Tractebel

Die Wasserkraft spielt also zumindest in Deutschland bei der Energiewende nur eine untergeordnete Rolle. Kleinere Wasserkraftanlagen sollten im Gegensatz zu anderen Ländern (z.B. Schweiz, Österreich, Frankreich) ursprünglich sogar aus dem Fördermechanismus des EEG 2023 herausgenommen werden. Glücklicherweise wurde der Gesetzesentwurf noch geändert. Doch es zeigt, dass die Wasserkraft unterschätzt wird.

Wasserkraft ist nicht „sexy“ genug!

Um es kurz zu fassen, einer meiner Kollegen bringt es auf den Punkt: Die Wasserkraft ist einfach nicht sexy genug! Ist das der richtige Weg – angesichts der Klimakrise, Preissteigerungen und dem Ziel möglichst schnell unabhängig zu werden? Als Maschinenbau-Ingenieur bin ich in der Welt der Wasserkraft zuhause. Daher bin ich in dieser Frage nicht neutral. Wie stehen Sie dazu? Wandelt sich Ihre Haltung, wenn Sie folgendes überlegen?

  • Kennen Sie die älteste Form der vom Menschen genutzten Energieumwandlung (noch vor Entdeckung der Elektrizität)?
  • Welche Art der elektrischen Energieerzeugung hat die größte Lebensdauer?
  • Welche Technologie kann im großen Maßstab Energie speichern?
  • Welche erneuerbare Energie kann geregelt werden?
  • Welche Form der Energieerzeugung hat den höchsten Wirkungsgrad?

Diese Fragen haben alle dieselbe Antwort: die Wasserkraft!

Bild 3: Seit 1917 im Dienst: Langlebige Technik der Wasserkraft (Instrumentierung im Baukraftwerk Forbach). Bild: Tractebel

Betrachtet man diese Fragen im Detail, sprechen zahlreiche Argumente für die nachhaltige Gewinnung von Energie aus Wasserkraft. Denn wir haben damit die größte Langzeiterfahrung – die Auswirkungen auf die Umwelt sind bekannt und beherrschbar. Bei entsprechender Wartung überzeugt die Technik mit einer langen Lebensdauer (z. T. > 100 Jahre) und die verwendeten Materialen (Stahl und Beton) haben auch im Falle eines Rückbaus keine gravierenden Auswirkungen auf die Umwelt. Zudem leistet Wasserkraft einen wichtigen Beitrag zur Netzstabilität: Regelung und Speicherung sind jederzeit möglich! Pumpspeicherwerke sind die einzigen Anlagen, die mit einem hohen Wirkungsgrad größere Strommengen speichern können.

Jede Form der Energieumwandlung hat auch negative Auswirkungen auf die Umwelt. Daher sollten wir doch möglichst viel der angebotenen Energie nutzen, wenn wir schon einen Eingriff in die Natur vornehmen. Die Wasserkraft hat einen Wirkungsgradbereich von rund 90 % mit großem Abstand zu anderen Formen der Energieerzeugung (Windkraft max. 50 %, Photovoltaikanlagen 8 – 20 % und Dampfkraftprozesse max. 45 % unter die neben Solarkraftwerken auch Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken fallen).

Bild 4: Wirkungsgradverlauf von Wasserturbinen (Pelton, Kaplan und Francis) im Vergleich zum idealen thermischen Wirkungsgrad (Carnot) und zum idealen Windrad sowie maximaler Wirkungsgrad von Photovoltaikanlagen. Die realen thermischen Prozesse sowie der Rotorleistungsbeiwert Cp eines 3-Blatt-Windrotors liegen natürlich unter dem idealen Verlauf. Bildquelle: Tractebel

Ist der Wirkungsgrad wirklich Nebensache?

Bei erneuerbaren Energien wird ja kein Brennstoff benötigt! Das ist korrekt und das macht die Erneuerbaren auch so attraktiv. Dennoch gibt es den Herstellungsprozess, die Installation, Wartung und Betrieb sowie die Lebensdauer einer Anlage. Je höher der Wirkungsgrad und je länger die Lebensdauer, desto mehr lohnt sich der ganze Aufwand. Unterm Strich schneidet die Wasserkraft beim Wirkungsgrad am besten ab. Die Vorteile von Solar- und Windkraft liegen zum Beispiel in geringeren Investitionskosten und der schnelleren Umsetzung. Daher plädiere ich für den breiten Mix der unterschiedlichen Technologien.

Was bietet die Wasserkraft sonst noch?

Ein weiterer Mehrwert der Wasserkraftwerke ist die Regelung des Wasserhaushaltes.  Überschwemmungen können verhindert und die Folgen von Trockenperioden – auch für die Schifffahrt – abgemindert werden. Ein Beispiel ist die Eder-Talsperre, die auch in diesem Jahr wieder den notwendigen Wasserpegel der Weser trotz der extremen Trockenheit bereitstellen konnte.

Es gibt also weitere positive Auswirkungen, zu denen auch der Naherholungseffekt beispielweise für Wassersportler und Wanderer gezählt werden kann. Wie Wasserkraftanlagen als touristische Ausflugsziele beeindrucken können, zeigen die Beiträge unserer Bloggerin Ann-Kristin Seidler:

Bild 5: Stauanlage Valle di Lei der Kraftwerke Hinterrhein AG vom dort wunderschön gelegenen Restaurant aus fotografiert. In den Sommermonaten ein gerne besuchtes Ausflugsziel von Einheimischen und Touristen. Wie mein ehemaliger Kollege Klaus Sarovny (ist schon in Rente) stets zu sagen pflegte: „Ein wunderschönes Fleckchen Erde“. Bild: Tractebel

Licht und Schatten

Auch ich sehe, dass Wasserkraftanlagen Schattenseiten haben: Der mehrjährige Baubetrieb, Beton- und Stahlherstellung, Verkehr, Eingriffe in die Natur und die Auswirkungen auf die Durchgängigkeit der Aquafauna sind nicht zu unterschätzen. Ich bin aber der Meinung, dass mit dem heutigen Kenntnisstand und unseren Möglichkeiten auch größere Anlagen mit der Umwelt vereinbart werden können und Wasserkraft ein wichtiger Baustein der Energiewende ist.

Bild 6: Im Jahr 1921 ging das Kraftwerk Lißberg im Wetteraukreis in Betrieb – und läuft bis heute. Bild: Tractebel

Mit Forcierung der Kleinwasserkraft (bis 5 MW) nach heutigen Erkenntnissen können viele negative Auswirkungen weitestgehend vermieden werden, da Fischauf- und Abstiegshilfen sowie fischfreundliche Maschinentechnik und Einlaufbauwerke zur Verfügung stehen.

Wozu die Diskussion, wenn das Potenzial doch schon ausgeschöpft ist?

Die bisherigen Studien kommen zu dem Ergebnis, dass das Potenzial der Wasserkraft zumindest in Deutschland schon weitgehend ausgeschöpft ist. Doch meine persönlichen Erfahrungen aus dem zurückliegenden Jahr zeigen ein anderes Bild:

  • Bestehende Wasserkraftanlagen können durch Modernisierung oder Umrüstung auf drehzahlvariable Maschinen ihre Leistung und Verfügbarkeit deutlich erhöhen
  • Bei der Erweiterung von Ober- oder Unterbecken bestehender Anlagen ist vielerorts noch reichlich Potenzial vorhanden
  • Bei vielen Kleinwasserkraftprojekten wären aus technischer Sicht ebenfalls Upgrades möglich, die auch auf die Belange von Fischen Rücksicht nehmen.
  • Auch bestehende Pumpspeicherwerke könnten nach einem Upgrade eine größere Rolle im Energiemix übernehmen.

Bedauerlicherweise fehlt dafür häufig die Bereitschaft, in solche Projekte zu investieren und sie zu fördern. Auch die Bevölkerung steht Neuanlagen kritisch gegenüber. Das könnte sich ändern, wenn es zu Netzausfällen kommt oder die Energiepreise weiter ansteigen. Bestehende Anlagen sind in der Regel aber breit akzeptiert und anliegende Ortschaften identifizieren sich mit den Wasserkraftanlagen.

Bild 7: Upgrades bestehender Wasserkraftanlagen sind eine nachhaltige und umweltverträgliche Lösung. Der Oberwasserstollen des Kraftwerks Thusis besteht beispielsweise seit 1899. Nur das Krafthaus und die Maschinen wurden modernisiert, so dass keine größeren Baumaßnahmen notwendig waren. Bild: Tractebel

Ich finde, die Zeit ist reif: Neue Techniken, insbesondere im Hinblick auf den Umweltschutz, müssen zu einer Neubewertung des Wasserkraftpotenziales in Deutschland führen. Kleinwasserkraft und Upgrades bestehender Anlagen sollten dabei im Vordergrund stehen, aber auch größere Neubauten dürfen kein Tabuthema sein und können im Hinblick auf zukünftige Herausforderungen durch den Klimawandel einen wichtigen Beitrag leisten.

Jede Kilowattstunde zählt – ob mit Wind, Sonne oder Wasserkraft!

Alle Erneuerbaren müssen weiter ausgebaut werden. In dem Mix sollten auch die Chancen, die uns die Wasserkraft bietet, genutzt werden. Regelung und Speicherung von Energie gibt es nicht umsonst. Sie muss entsprechend honoriert und vergütet werden – auch wenn sie von Wasserkraftkraftwerken kommt. Das würde den deutschen Energiemarkt nachhaltig und langfristig stärken und zur Netzstabilität beitragen.

Angesichts der aktuellen Situation im Energiesektor müssen aus meiner Sicht die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für regelbare Wasserkraft und Pumpspeicherwerke geschaffen werden. Die Genehmigungsphasen müssen beschleunigt werden. Auch bei den erneuerbaren Energien zählt jede Kilowattstunde – insbesondere, wenn man sie speichern kann! Denn Wasserkraft ist nicht sexy, aber solide!

Wie denken Sie jetzt – nachdem Sie Vor- und Nachteile kennengelernt haben – über die Wasserkraft? Möchten Sie sich vielleicht ein eigenes Bild vor Ort machen? Fast alle Betreiber bieten auch Besucherführungen an. Schauen Sie es sich doch mal bei Ihrem nächsten Ausflug oder Urlaub an. ?

3 thoughts on “Wasserkraft: Im Schatten von Sonne und Wind?

  1. 100% Zustimmung.
    Ein weiterer Punkt, der trotz deutlich höherer Umwelteinwirkungen in Deutschland wieder auf die Tagesordnung kommen sollte, ist der Bau neuer Talsperren. Die Menschheit hat immer versucht, Trockenperioden durch die Speicherung von Wasser in Nassperioden zu überstehen. Jetzt sind wir wieder in einer Situation, wo Projekte wie die Ernstbachtalsperre im Taunus (wurde von Lahmeyer vor über 30 Jahren ziemlich weit durchgeplant, aber dann gestoppt) für unsere Wasserversorgung enorm wichtig werden könnten, so wie die erwähnte Edertalsperre für die Niedrigwasseraufhöhung der Weser. Nebeneffekt: Man könnte dann auch eine Kleinwasserkraftanlage installieren, die sicher mehr als nur den Eigenbedarf der Anlage deckt.

  2. Dear Manuel,
    Thank you very much for the interesting article. I fully share your view and hope that hydropower will become attractive worldwide again soon.
    Best regards,
    David

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